Stellungnahme zu den Diskussionen um die geplanten Flüchtlingslager in Leipzig

Im Zuge des von der Stadt vorgeschlagenen Konzeptes zur „dezentralen“ Unterbringung „Wohnen für Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Leipzig“ (Beschlussvorlage V/1904) sind in den letzten Wochen unter einigen Anwohner_innen der Stadtteile Wahren, Portitz und Grünau Diskussionen laut geworden, deren stellenweise rassistischer Inhalt in Presse und Fernsehen1 wiedergegeben wurde. Auch neu gegründete Bürgerinitiativen bieten Raum für die Verbreitung ablehnender Stimmen. Dies sind Entwicklungen die uns sehr schockieren und in denen wir gefährliche Tendenzen wahrnehmen. Insbesondere das kritiklose Aufgreifen dieses Diskurses durch Verter_innen der Presse (LVZ Online², Bild Leipzig³) und das Fehlen hörbarer Gegenstimmen veranlasst uns zu der folgenden Stellungnahme.

Das städtische Konzept zur geplanten „dezentralen“ Unterbringung von Asylsuchenden stellt in unseren Augen eine minimale Verbesserung der gegenwärtigen Situation für Asylsuchende in Leipzig dar. Wir kritisieren aber vehement die weiterhin bestehende Fremdbestimmung und Isolation, der Asylsuchende unterliegen. Damit meinen wir konkret, dass sich Menschen weder ihr Wohnumfeld noch ihre Mitbewohner_innen selbst aussuchen können, kaum Privatsphäre haben und ihnen generell zu wenig Wohnraum zur Verfügung steht (nur 7,5m² pro Person). Darüber hinaus lässt sich das Konzept nicht als tatsächlich dezentral verstehen, da es sich bei den geplanten Unterkünften durchweg weiterhin um Sammelunterkünfte handelt, in denen 30-180 Menschen zusammen wohnen sollen und nicht um einzelne Wohnungen, die ein normales, menschenwürdiges Leben gewährleisten würden.
Wir fordern daher, Asylsuchenden einen schnellstmöglichen Übergang zu einem tatsächlich dezentralen Wohnsitz, das heißt in Wohnungen, zu ermöglichen!

Die von einigen Anwohner_innen der Stadtteile Wahren, Portitz und Grünau geäußerten Kritikpunkte wie Platzmangel in den Unterkünften, die schlechte Infrastruktur vor Ort und teilweise ungünstige Lage, da nicht zentrumsnah, sind zweifellos richtig.
Erschreckend ist jedoch, dass diese Argumentation aus den Mündern der empörten Bürger_innen lediglich dazu dienen soll “die Asylbewerber” aus der beschaulichen kleinbürgerlichen Idylle in den jeweiligen Nachbarschaften fern zu halten.
Uns scheint als seien die vorgeschobenen humanitären Bedenken dazu da um rassistisch-stereotypisierende Argumente zu verstecken. Dies wird daran deutlich, dass die humanitären Argumente gegen die Asylunterkünfte in den betreffenden Stadtteilen zwar oft wiederholt werden, die diskriminierenden Aussagen in den Diskussionen aber stark überwiegen.
In den vorurteilsbehafteten Aussagen bringen die Anwohner_innen Asylbewerber_innen und Migrant_innen pauschal mit Kriminalität, Drogenhandel/-konsum, Lärm, Vermüllung und sexualisierten Gewalttaten in Verbindung. Dabei werden diese als unweigerlich auftretende Probleme im Umfeld der Asylbewerber_innenheime suggeriert.
Das diese angeblich auftretenden negativen Folgen auch von den SBB-Mitgliedern und Flüchtlingsrats-Mitgliedern nicht abgestritten, sondern sogar dadurch bekräftigt werden, dass darüber diskutiert wurde wie diese verhindert und gemildert werden können, finden wir umso erschreckender.
Aussagen einiger Anwohner_innen wie „ die arabische/ afrikanische Kultur ist eben so“ zeigen, dass diese Zuschreibungen mit kulturalistischen Vorurteilen verbunden sind. Sie basieren auf der Vorstellung von homogenen kulturellen Räumen, die Menschen in verallgemeinernde Kategorien einteilt und ihnen ihre Individualität abspricht.

Die in diesem Zusammenhang von vielen Seiten geäußerte Forderung nach höherer sozialer Betreuung und enger Zusammenarbeit mit städtischen Behörden und der Polizei zeigt auf erschreckende Art den Wunsch nach Kontrolle und Überwachung von Asylsuchenden.
Dass die SBB-Mitglieder und die Amtsleiterin des Sozialamts dieser, als notwendig gerechtfertigten Überwachung durch die Polizei zustimmten zeigt den erschreckenden Konsens über die als potenzielle Kriminelle diffamierten Asylsuchenden. So wird Menschen in Übereinstimmung die Verantwortung über ihr eigenes Leben abgesprochen.
Wir lehnen die Kriminalisierung von Migrant_innen und Asylsuchenden ab und sprechen uns gegen eine Überwachung der Unterkünfte durch die Polizei und gegen andere „Sicherheitsvorkehrungen“ wie Zäune aus!

Weiterhin wird Vertreter_innen der Stadt, mangelnde Information und Miteinbeziehung in die Standortwahl vorgeworfen. Als „betroffene Anwohner_innen“ habe man schließlich das Recht über solche Vorhaben rechtzeitig informiert zu werden. Dass die eigentlichen Betroffenen aber diejenigen sind, die in diesen Unterkünften leben werden, wird hier schlichtweg vergessen. Dies ist bezeichnend, ist doch der gesamte Diskurs neben rassistischen Äußerungen geprägt von einer Perspektive, die nicht die Anliegen und Interessen von AsylbewerberInnen berücksichtigt.
So hat es die Verwaltung der Stadt bis jetzt versäumt, die in der Torgauer Straße lebenden Menschen über die Schließung und das neue Konzept zu informieren und sie wurden auch in keiner Weise in den Entscheidungsprozess miteinbezogen.
Dies lehnen wir als undemokratisch und diskriminierend ab!

Die Vorwürfe einiger Anwohner_innen und Eigenheimbesitzer_innen, es käme durch eine Asylunterkunft in der Nachbarschaft zu Wertminderung ihrer Immobilien ist höchst spekulativ. Der Wert der Häuser und Grundstücke wird sich kaum durch die Sanierung der schon bestehenden Mehrfamilienhäuser oder deren neue Bewohner_innen vermindern.
Der Vorwurf, die Lebensqualität der Anwohner_innen würde sich durch ihre zukünftigen Nachbar_innen verschlechtern, klingt dagegen pauschal rassistisch, da davon ausgegangen wird, das Leben verschlechtere sich durch die Anwesenheit von Menschen, die nicht in Deutschland geboren wurden.
Menschen aufgrund ihrer Herkunft, phänotypischer oder kultureller Merkmale als homogene Gruppen zu konstruieren, sie als unterschiedlich zur eigenen „Kultur“ und damit negativ zu bewerten und ihnen Eigenschaften wie Temperament, Aggressivität, Kriminalität zu zuschreiben beruht auf rassistischen Vorurteilen, die jeglicher Grundlage entbehren.

Die Tendenzen die sich in den Argumenten einiger Anwohner_innen wiederfinden werten wir als gefährlich, da sie rassistische Ressentiments, die in der Gesellschaft weit verbreitet sind, schüren und sich leicht von Neonazis und rechten Parteien aufgreifen und instrumentalisieren lassen. Dies lässt sich schon jetzt in den Interventionen von Neonazis4

und argumentativem Aufgreifen durch die NPD erkennen, die nun „zu kreativem Widerstand gegen die Verausländerung beschaulicher Ortsteile“ aufruft5.

Es geht uns nicht darum, die Bürger_innen, die sich als gesellschaftliche Mitte bezeichnen, als Rechte zu diffamieren. Wir möchten vielmehr darauf aufmerksam machen, dass rassistische Einstellungen in der Gesellschaft weit verbreitet sind. Rassismus ist kein ausschließlich „rechtes“ Problem sondern ein alltägliches, das bis in die „Mitte“ der Gesellschaft zu finden ist und das wir alle angehen müssen!

1 www.youtube.com/watch?v=wradDRU3jrI (04. Juni 2012)
2 www.lvz-online.de/leipzig/citynews/buer… (24. Juni 2012)

3 www.bild.de/regional/leipzig/proteste/a… (24. Juni 2012)

4 www.lvz-online.de/leipzig/citynews/npd-… (02.06.2012)

5 gamma.noblogs.org/archives/999 (05. Juni 2012)

Kalender

June 2012
M T W T F S S
 123
45678910
11121314151617
18192021222324
252627282930