Kundgebung: Solidarität mit kämpfenden Flüchtlingen im Hungerstreik in Würzburg

Am Dienstag, den 03.07. versammelten sich etwa 60 Menschen in Leipzig zu einer Kundgebung unter dem Motto: „Solidarität mit den kämpfenden Flüchtlingen im Hungerstreik“.


Gegen 18.30 versammelten sich Aktivist_innen aus Leipzig, unter anderem aus einer lokalen Sammelunterkunft, um mit Transpis, Plakaten, Flyern und Redebeiträgen auf die Situation der Flüchtlinge in Würzburg und anderen Städten aufmerksam zu machen.

In den Redebeiträgen, die ins Englische übersetzt wurden, wurden die Forderungen der Flüchtlinge im Hungerstreik vorgetragen.
Diese lauten:
* Abschaffung des Systems der Gemeinschaftsunterkünfte.
* Abschaffung der Residenzpflicht.
* Anspruch auf Rechtsbeistand und Dolmetscher_innen im Asylverfahren.
* Verkürzung der Dauer der Asylverfahren.
* Abschaffung der entwürdigenden Versorgung mit Essenspaketen.   (landesweite Regelung in Bayern)
* Deutschkurse ab dem ersten Tag.
* Vereinfachte Regeln zur Familienzusammenführung.
* Abschaffung von Arbeitsverboten, für die Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt durch Arbeit zu sichern und für die Möglichkeit zu studieren.

Auch Aktivist_innen die im Flüchtlingslagers in der Torgauer Str. 290 in Leipzig leben müssen solidarisierten sich mit den Forderungen der kämpfenden Flüchtlinge in Würzburg. Sie beteiligten sich mit Transparenten und Redebeiträgen an der Kundgebung. Im ersten Redebeitrag wurde die Asylpolitik Deutschlands kritisiert, die dafür verantwortlich ist, dass ihre Asylprozesse immer weiter verlängert und verschoben werden.
„Wenn das so weitergeht, werden wir auch einen Hungerstreik anfangen und uns so mit den Flüchtlingen in Würzburg solidarisieren“ so Amir Ardalan Rahnama. Weiterhin kritisierte er Menschenrechtorganisationen, deren Diskurs zwar geprägt sei von der Forderung nach Rechten für Unterdrückte, die aber blind für die Rechte von Flüchtlingen seien.

Später wurde das offene Mikrofon für weitere spontane Redebeiträge genutzt. In diesem Rahmen wurden Stimmen laut, die angaben, sich aufgrund des staatlichen Umgangs mit Flüchtlingen dafür zu schämen, „Deutsche“ genannt zu werden. Anstelle der restriktiven und menschenverachtenden Asylpolitik wurde gefordert, Flüchtlinge willkommen zu heißen.

Neben wenigen Pöbeleien durch Passant_innen am Rand der Kundgebung und undifferenzierten Kommentaren eines selbsternannten „Flüchtlingsexperten“, der staatlichen Rassismus negierte, weil er besser wisse was Rassismus sei, verlief die Kundgebung erfolgreich und angenehm.

Zum Hintergrund des Streiks
Seit Mitte März ist eine Gruppe iranischer Flüchtlinge in Würzburg mit kleineren Unterbrechungen im Hungerstreik. Sie kämpfen gegen Lagerunterbringung, Residenzpflicht, Abschiebung und für ein Bleiberecht. Mit andauernden Protestcamps zeigen sie seit dem 18. März Präsenz in der Würzburger Innenstadt und kämpfen dafür, ihre gesellschaftliche Isolation zu durchbrechen und Gehör zu finden.
Am 4. Juni, zu Beginn der Protestwelle, nähten sich zwei der Hungerstreikenden in Würzburg die Münder zu und trugen den Protest damit auf eine neue Ebene. Nach und nach schlossen sich neue Aktivist_innen in Würzburg dem Streik an und nähten auch ihre Münder zu. Sie schrieben dazu:
„Wir sind die Stimme aller Asylbewerber, die ihr Recht einfordern. Wir haben laut geschrien, aber niemand hat uns gehört. Jetzt haben wir unsere Lippen zugenäht, weil alles gesagt wurde.“
Am 27. Juni ging einer der streikenden Flüchtlinge in Würzburg, Mohammed Hassanzadeh Kalali in einen trockenen Hungerstreik über- er hörte auf zu trinken, in der Hoffnung, seine Forderung nach Anerkennung seines Asylantrages würde endlich gehört werden. Nachdem das Verwaltungsgericht Regensburg beim Auswärtigen Amt eine Anfrage auf Auskunft eingereicht hat, hat er die Flüssigkeitsaufnahme wieder aufgenommen und wartet mittlerweile auf die Antwort vom Verwaltungsgericht.
Noch immer warten acht der Streikenden auf ihre Anerkennung als politische Flüchtlinge.
Am 03.07. schlossen sich weitere Flüchtlinge in Aub und Bamberg dem Protest an, starteten Dauerkundgebungen und kündigten an, ebenfalls in den Hungerstreik zu treten. Auch in München und Berlin formiert sich Widerstand von Flüchtlingen, die in den nächsten Tagen Protestcamps errichten wollen.

Die Methoden der Flüchtlinge werden immer radikaler und die Bewegung breitet sich bundesweit aus.
„Das ist der Beginn einer landesweiten Bewegung von Flüchtlingen gegen die unmenschlichen Bedingungen.“, schreiben die streikenden Flüchtlinge in Würzburg.

Wir erklären uns uneingeschränkt solidarisch mit den Forderungen der Flüchtlinge!
Freedom of movement is everybody‘s right!

Mehr Informationen zu den Hungerstreiks findet ihr hier:

Würzburg: www.gustreik.blogsport.eu

Aub: http://asylaub.wordpress.com

Bamberg: http://antifareferat.wordpress.com/2012/07/01/protest-statement-von-asylbewerbern/

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Unterstützt die Petition der Leute aus Würzburg: https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition%3Bsa%3Ddetails%3Bpetition%3D24483

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Zur Dokumentation, zwei der gehaltenen Redebeiträge:

Redebeitrag zur Situation allgemein

Seit Mitte März ist eine Gruppe iranischer Flüchtlinge in Würzburg mit kleineren Unterbrechungen im Hungerstreik. Sie kämpfen gegen Lagerunterbringung, Residenzpflicht, Abschiebung und für ein Bleiberecht. Mit andauernden Protestcamps zeigen sie seit dem 18. März Präsenz in der Würzburger Innenstadt und kämpfen dafür, ihre gesellschaftliche Isolation zu durchbrechen und Gehör zu finden.
Seitdem haben sich immer mehr Flüchtlinge in unterschiedlichen Städten dem Protest angeschlossen.
Am 4. Juni, zu Beginn dieser Protestwelle, nähten sich zwei der Hungerstreikenden in Würzburg die Münder zu und trugen den Protest damit auf eine neue Ebene. Alle paar Tage schlossen sich neue Aktivist_innen in Würzburg dem Streik an und nähten auch ihre Münder zu. Sie sagen:

Wir sind die Stimme aller Asylbewerber, die ihr Recht einfordern. Wir haben laut geschrieen, aber niemand hat uns gehört. Jetzt haben wir unsere Lippen zugenäht, weil alles gesagt wurde.
Diese Aktion ist so extrem, wie die Umstände, die die Streikenden dazu brachten. In Deutschland lebende Asylbewerber_innen werden systematisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Sie sind gezwungen in gefängnisähnlichen Lagern, oftmals weit außerhalb von Städten, zu leben. Die Residenzpflicht verbietet es Asylbewerber_innen, ihren Landkreis zu verlassen, sie dürfen nicht arbeiten oder eine Ausbildung machen und die finanzielle Unterstützung des Staates liegt weit unter dem gesetzlich festgeschriebenen Existenzminimum. Oft müssen sie über Jahre des Wartens in den Isolationslagern verbringen, durch eine Ablehnung ihres Asylantrags werden die Asylbewerber_innen illegalisiert oder müssen mit stark befristeten Duldungen leben und ständig ihre Abschiebung fürchten.
Die kämpfenden Flüchtlinge haben es satt, sich diese Ungleichbehandlung gefallen zu lassen, sie fordern:
Die sofortige Schließung der Gemeinschaftsunterkünfte. Das System der Gemeinschaftsunterkünfte schottet die Menschen von der Gesellschaft ab und ist für viele Selbstmorde und psychische Erkrankungen verantwortlich.
Abschiebung in alle Länder müssen sofort gestoppt werden. Die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen bei Abschiebungen ist trügerisch und beschämend und zahlreiche Menschen wurden so in den Tod geschickt.
Die menschenunwürdige Residenzpflicht, die die individuelle und soziale Freiheit wie bei Haustieren die an der Leine geführt werden negiert, muss sofort abgeschafft werden.
Schlussendlich fordern wir vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unsere sofortige Anerkennung als politische Flüchtlinge.
Wir erklären uns uneingeschränkt solidarisch mit den Forderungen der Flüchtlinge!
Freedom of movement is everybody‘s right!

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English

Since mid-march a group of iranian refugees in würzburg is on hunger strike with some short-term interruptions. They fight against Lager, Residenzpflicht, deportations and for their right to stay. Having a protest camp, they are present in the city of Würzburg since the 18th of march and their struggle is also basically about breaking their social isolation and being heard.
Since then more and more refugees in different towns joined the protest.
On the 4th of June, at the beginning of the wave of protest, two of the hunger strikers sewed their lips to strengthen the struggle. Every few days new activists joined the strike in Würzburg and also sewed their mouth. They say:
„We are the voice of all asylum applicants that claim their right. We have cried loud, but no one heard us. Now we sewed our lips, because all is said.“
This action is as extreme as the conditions that caused the strikers to do this. People who apply for asylum in germany are systematically excluded from society. They are forced to live in prison-like camps, often way out of towns. The Residenzpflicht interdicts to leave ones Landkreis, one is not allowed to work or to do an apprenticeship or study, and the financial benefit from the state is far below the legal minimum subsitence level. Often asylum seekers have to spend years of waiting in the isolation camps. If their claim for asylum is denied, they are illegalized or have to live with temporary Duldung and permanent fear of deportation.
The fighting refugees won‘t stand this unfair treatment anymore, the claim:
abolition of lagers
abolition of residenzpflicht
abolition of deportations
to be accepted as political refugees
We declare our solidarity with the fighting refugees and their claims!
Freedom of movement is everybody‘s right!

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Redebeitrag Zur Ausweitung der Proteste
Seit 107 Tagen sind die iranischen Flüchtlinge in Würzburg nun in der Innenstadt präsent und kämpfen für ihre Anerkennung und gegen die rassistischen, diskriminierenden Gesetze für Asylbewerber_innen in Bayern und Deutschland. Heute ist der 29. Tag der dritten Welle ihres Hungerstreiks.
Doch die Proteste bleiben nicht auf Würzburg beschränkt. Der Hungerstreik hat auch eine intensive Vernetzung unter den aktiven Flüchtlingen bewirkt und weitet sich beständig aus.
Ende März trat ein Asylbewerber aus Mannheim in den Hungerstreik, um dafür zu kämpfen, dass seine Familie aus Jordanien zu ihm nachreisen kann, nachdem sein Antrag auf Familienzusammenführung monatelang ignoriert wurde. Der Streik war erfolgreich – seine Familie befindet sich jetzt in Deutschland und er beendete am letzten Sonntag nach 32 Tagen den Hungerstreik.
Heute haben sich in Aub 11 Flüchtlinge aus Iran, Irak und Afghanistan dem Hungerstreik der Würzburger_innen angeschlossen. Sie haben in dem 500-Seelen-Dorf, in dem sie leben müssen, an der einzigen Hauptstraße ein Zelt aufgestellt und halten dort eine Dauerkundgebung ab.
Auch in Bamberg errichteten Flüchtlinge heute ein Protestcamp auf der Straße.
In München gibt es 7 Flüchtlingsaktivisten, die genauso entschlossen sind, in den Hungerstreik zu treten. Sie wollten damit eigentlich auch heute beginnen, müssen aber erst einmal gegen die städtische Bürokratie kämpfen, um ihre Dauerkundgebung anmelden zu können. Da niemand von ihnen in München gemeldet ist, dürfen sie nicht die Versammlungsleitung übernehmen. Sobald sie eine Lösung gefunden haben, werden sie wie in den anderen Städten ein Protestcamp errichten und sich dem Hungerstreik anschließen.
Auch in Berlin organisieren Flüchtlinge ein Protestcamp, das demnächst beginnt.
In Essen, Jena, Hamburg, Wuppertal, München und im Ausreisezentrum Motardstrasse in Berlin haben sich Menschen solidarisch mit den kämpfenden Flüchtlingen erklärt und teilweise Soli-Kundgebungen und Aktionen organisiert. In Leipzig gab es letzte Woche schon eine spontane Solidaritätsdemo.
„Das ist der Beginn einer landesweiten Bewegung von Flüchtlingen gegen die unmenschlichen Bedingungen.“, verkünden die Streikenden in Würzburg.
Unterstützen wir die streikenden Flüchtlinge in ihren Forderungen und in ihrem Kampf für ein menschenwürdiges, schönes Leben für alle – unabhängig von Nationalität oder Herkunft!

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