Am Dienstag Abend, 17 Jahre nach dem Mord an Bernd G. durch drei Neonazis demonstrierten in Leipzig-Wahren etwa 40 Menschen um auf rechte Morde im Allgemeinen, aber auch insbesondere Homophobie als Motivation nazistischer Gewalt aufmerksam zu machen.
Hier der Aufruf der Kampagne Rassismus Tötet:
Gegen das Vergessen
Seit 1990 wurden mindestens sechs Menschen in Leipzig durch Nazis getötet. In der strafrechtlichen Aufarbeitung der meisten Fälle spielten rassistische, homophobe oder sozialdarwinistische Motive der Täter keine Rolle. Weder explizite Äußerungen während der Taten, noch die offensichtliche Nähe der Mörder zur organisierten Neonazi-Szene hatten auf den Prozessverlauf einen Einfluss. Nicht nur vor Gericht wurden die Motivation und der Hintergrund der Täter ausgeblendet:
Die fehlende Anerkennung als Opfer rechter Gewalt in konkreten Prozessen und offiziellen Statistiken hat ein fehlendes Bewusstsein in der Gesellschaft, den Medien und auch bei potentiell Betroffenen und ihren Unterstützer_innen zur Folge. In den offiziellen Statistiken werden diese Morde nicht als das anerkannt, was sie eigentlich sind: rechte Morde. So wurde bisher nur einer dieser Fälle als rechtsmotiviert in den Statistiken des Bundesinnenministeriums aufgeführt.
Diese allgemeine Ignoranz gilt es zu problematisieren und zu skandalisieren, damit keiner der von Nazis Ermordeten – Klaus R., Bernd G., Achmed B., Nuno L., Karl-Heinz T., Kamal K. und jene, deren Namen bisher unbekannt sind – in Vergessenheit gerät.
Der Mord an Bernd G.
Der Fall eines dieser Opfer – der vor 17 Jahren ermordete Bernd G. – soll als Anlass dienen, um auf rechte Morde im Allgemeinen, aber auch insbesondere Homophobie als Motivation nazistischer Gewalt aufmerksam zu machen. In diesem Kontext wollen wir den abscheulichen Mord thematisieren und des Bernd G. gedenken.
Bis zum Jahr 1996 betreibt der damals 43-jährige Bernd G. in Leipzig-Wahren gemeinsam mit seinem Lebensgefährten einen Laden und steht offen zu seiner homosexuellen Lebensweise. In der Nacht vom 7. auf den 8. Mai wird Bernd G. von drei Nazis ermordet. Nach einem Besäufnis treffen die Täter am Wahrener Rathaus auf Bernd G., beschimpfen ihn zunächst mit homophoben Äußerungen und ermorden ihn anschließend auf bestialische Art und Weise. Danach rufen sie einen Bekannten an, der den Leichnam in einen Steinbruch in Ammelshain bei Leipzig wirft. Erst zehn Tage später wird die Leiche gefunden.
»In dieser Umgebung fühlen sich Faschos sicher und wohl« (Klarofix, 1996)
Der damalige »Schwulenbeauftragte« der Stadt Leipzig bezeichnet Wahren als »Zentrum rechter Übergriffe auch auf Schwule«. Dennoch findet das homophobe Motiv der Täter in der öffentlichen Debatte keinerlei Beachtung. Nach dem Leichenfund sucht die Polizei zunächst nach Spuren im sogenannten »Schwulenmilieu«. Auch die anfangs zuständige Kripo Grimma ermittelt ausschließlich im persönlichen Umfeld des Opfers. Erst eine videografische Aufnahme, die einen der Mittäter beim Benutzen der Geldkarte des Bernd G. zeigt, bringt die Polizei auf die Spur der vier Nazis.
Die Anwohner_innen von Wahren wollen in der Tatnacht weder etwas Ungewöhnliches gesehen, noch gehört haben. Sie seien an den Lärm nächtlicher Auseinandersetzungen und Hilferufe gewöhnt, so die öffentliche Erklärung. Rassistische, sozialdarwinistische und homophobe Äußerungen und Gewalttaten scheinen für sie zumindest nicht weiter problematisch, oder scheinen gar wie bei den Tätern Teil des eigenen Weltbildes zu sein.
Auch im anschließenden Gerichtsprozess spielt der rechte Hintergrund der Täter keine Rolle: Weder eine Razzia im Umfeld der Täter in der Gottlaßstraße 5 (unmittelbar am Tatort gelegen), bei der rechtes Propagandamaterial sichergestellt wird, noch der stetige Besuch einschlägig bekannter Neonazis an den Prozesstagen veranlassen das Gericht dazu, die Motivlage der Täter ernst zu nehmen. In der Urteilsbegründung verweist der Richter letztlich auf »Lust und Laune an körperlicher Misshandlung « als Tatmotiv.
Im anschließenden Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof werden der Hauptschuldige zu vierzehneinhalb Jahren und seine beiden Komplizen zu acht bis zehn Jahren Haft verurteilt.
Homophobie als gesamtgesellschaftliches Problem
Homophobie hat eine lange historische Tradition in Deutschland. Im Nationalsozialismus erfuhr das Ressentiment eine mörderische Radikalisierung, Homosexualität galt als »volksfeindlich « und »widernatürlich«. Mit Hilfe einer Verschärfung des §175 im Strafgesetzbuch stellten die Nationalsozialisten jede homosexuelle Handlung beziehungsweise schon deren Anbahnung unter Strafe und leiteten eine systematische Verfolgung schwuler Männer ein.
Während Homosexualität bei Frauen infolge des hierarchischen, männerfixierten Geschlechterbilds der Nazis geächtet, jedoch nur in Ausnahmen verfolgt wurde, verschleppten die Nazis tausende schwule Männer in Konzentrationslager. Vermutlich 60 Prozent der mit einem Rosa Winkel gekennzeichneten Inhaftierten wurden dort ermordet. In der Nachkriegszeit galt der verschärfte §175 in der BRD bis 1969 unverändert weiter und wurde erst 1994 gänzlich abgeschafft, in der DDR galt die nicht-verschärfte Variante des Paragrafen bis 1968. Die Rehabilitation oder gar eine Entschädigung daraufhin Verurteilter steht bis heute aus.
Auch gegenwärtig werden heterosexuelle Beziehungen als »natürlich«, homosexuelle demgegenüber als »widernatürlich « wahrgenommen. Solche Argumente gehen oft mit reaktionären Ansichten einher und knüpfen häufig an religiöse Wertvorstellungen an. Menschen, die ihre Homosexualität offen leben, erfahren oft gesellschaftlichen Ausschluss oder sind wegen ihrer Lebensweise körperlicher Gewalt ausgesetzt.
Auch wenn nicht-heterosexuelle Lebensvorstellungen heute weitgehend akzeptiert scheinen und vor allem von institutioneller Seite liberaler behandelt werden, bleiben diese Emanzipationsprozesse immer prekär und können Betroffene alltäglicher Diskriminierung nur begrenzt schützen. In aktuellen Debatten um die fortschreitende Gleichstellung unabhängig von der sexuellen Orientierung wurden die entsprechenden Vorbehalte erneut deutlich, in Deutschland musste diese deshalb vom Bundesverfassungsgericht verordnet und in Frankreich gegen die Massenmobilisierung reaktionärer Teile der Bevölkerung durchgesetzt werden. Dementsprechend halten sich Vorstellungen, die Homosexualität als »krank« und »behandlungsbedürfdig « darstellen.
So sind etwa Mitglieder der sächsischen CDU wiederholt durch solche Äußerungen aufgefallen, zuletzt bei einem pseudowissenschaftlichen »Umpolungsseminar « von Dr. med. Christl Ruth Vonholdt, die »Heilungsmöglichkeiten« und deren Umsetzung propagiert. Die mangelnde Akzeptanz anderer Lebensvorstellungen kann dabei schnell in offene Gewalt gegenüber Homosexuellen übergehen. Die Täter sehen sich oft als Verteidiger eines rassistisch und natürlich begründeten Kollektivs, dem Homosexualität als schädlich, krank oder gar lebensunwert erscheint und in dem Homosexuelle ihre vermeintliche Reproduktionspflicht innerhalb der Gesellschaft nicht erfüllen.
Wie auch bei anderen Betroffenen rechter Gewalt geht die gesellschaftliche Stigmatisierung so den konkreten Gewalttaten voraus. Dass sich die Gewalt jedoch keineswegs willkürlich gegen bestimmte Menschen richtet, wird wie im Fall des Bernd G. oft ausgeblendet.
Wahrener Zustände heute
Der Wunsch einer »gesunden« oder gar »reinen« Gemeinschaft lässt sich in der aktuellen Debatte um die Unterkünfte von Asylsuchenden in Leipzig exemplarisch am Stadtteil Wahren beobachten. Kurz nach Bekanntwerden der geplanten Auflösung der bisherigen Wohnheime und der geplanten Dezentralisierung der Unterkünfte, im deren Zuge auch eine Unterkunft in der Pittlerstraße in Wahren eingerichtet werden soll, machten Teile der ansässigen Bevölkerung dagegen mobil, in dem sie eine öffentlich auftretende Bürgerinitiative gründeten.
Diese argumentiert mit einer vermeintlich ansteigenden Kriminalität, mit dem erwarteten Wertverlust ihrer Grundstücke und dem Zerfall der eigenen Scholle.
Im O–Ton liest sich das dann wie folgt: »Das tausendjährige Wahren besitzt noch heute einen malerischen alten Ortskern mit dörflichen Siedlungsstrukturen. Die Bürgerinitiative Wahren setzt sich für den Erhalt Wahrens und umliegender Ortsteile als historisch gewachsenes Wohngebiet mit homogener sozio-kultureller Bevölkerungsstruktur ein.«
Die oberflächliche Abgrenzung zur Kundgebung der NPD im Rahmen ihrer »Aktionstage gegen Asylmissbrauch, Überfremdung und Islamisierung« Ende vergangenen Jahres in der Pittlerstraße sollte jedoch nicht verwundern. Anknüpfungspunkte finden sich zuhauf, auch wenn die Bürgerinitiative stets um das Image aufrechter Demokrat_innen bemüht und Sorge um einen »sozialen Brennpunkt mit offener Konfrontation von Rechts- und Linksextremisten« verlauten lässt. Ressentiments bleiben die Grundlage der Argumentation und es gilt zu verhindern, dass verbal geäußerte Ablehnung bei der Öffnung des Heims in offene Gewalt umschlägt.
Anlässlich des Gedenkens an die Opfer rechter Gewalt wird am 7. Mai um 17 Uhr eine Kundgebung in Gedenken an Bernd G. und gegen Homophobie in der Gottlaßstraße am Rathaus Wahren stattfinden. Da sich an der derzeitigen Debatte um die Dezentralisierung der Asylunterkünfte zeigt, dass die Wahrener Zustände auch heute noch von der Vorstellung einer homogenen Gemeinschaft geprägt sind, soll im Anschluss daran in die Pittlerstraße, wo das zukünftige Heim für Asylsuchende entstehen soll, zu einer zweiten Kundgebung gelaufen werden.
Gegen Homophobie und das Vergessen – gegen die Wahrener Zustände, damals wie heute!
Bernd G. als Opfer rechter Gewalt anerkennen!